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Globalisierung ist allgegenwärtig 09/03/09

Jugendfestival – Workshops bei »Sturm und Klang« nach wie vor sehr gut besucht. Weniger Konzert- und Partygäste

Jugendfestival – Workshops bei »Sturm und Klang« nach wie vor sehr gut besucht. Weniger Konzert- und Partygäste

VON ELISABETH WEIDLING

REUTLINGEN. Tröpfchenweise kamen Heranwachsende am Samstag in das Jugendhaus in der Museumsstraße. Um 12.30 Uhr, eine humane Zeit für Freunde der Nacht, begann das globalisierungskritische Festival »Sturm und Klang«. Bis zum Abend fanden sich 90 Teilnehmer zu Workshops und einem globalisierungskritischen Stadtrundgang ein. Anders als in den vergangenen Jahren besuchten das anschließende Konzert um 20.30 Uhr im »franz.K« nur 250 statt der 350 erwarteten Gäste. Bei der Aftershow-Party in der »Zelle« schwoften später 150 Nachtschwärmer.

 

»Sturm und Klang«: Erfrischend ungewöhnlich war die Band »Soulhossas«, in der Menschen mit Behinderung die Bühne im Kulturzentrum »franz.K« rockten. FOTO: NIETHAMMER

Integratives Bandprojekt

Ruben Neugebauer, Mitglied im zehnköpfigen Planungsteam, zeigte sich zufrieden. Dass etwas weniger Besucher als erwartet zu den Abendveranstaltungen gekommen waren, schob er auf die Konkurrenzveranstaltungen in Tübingen. Die meisten der Teilnehmer waren zwischen 14 und 18 Jahren. Auch einige über 20-Jährige wollten sich politisch weiterbilden und besuchten die anspruchsvolleren Workshops »60 Jahre Nato – ein Grund zum Feiern?« oder »Was ist Kapitalismus?«. So wie die 23-jährige Annika Löffler und die 24-jährige Anna Preuß. Die Studentinnen hatten im Programmheft des »franz.K« gelesen, dass die Band der Musikwerkstatt Reutlingen, »Soulhossas«, abends im Kulturzentrum die Bühne rockte.

Das integrative Bandprojekt, bei dem Menschen mit geistiger Behinderung mit von der Partie sind, interessierte die beiden angehenden Erziehungswissenschaftlerinnen. Weil sie das Thema Globalisierung so wichtig finden, beschlossen die jungen Frauen kurzerhand, nachmittags den Nato-Workshop zu besuchen. Ähnlich Raimund Kaiser. Der 19-jährige gebürtige Reutlinger, der mittlerweile Kybernetik in Stuttgart studiert, bildet sich als Juso-Mitglied gerne politisch weiter. Ihn zog es zum Workshop über Kapitalismus.

Parallel startete bei strahlendem Sonnenschein ein globalisierungskritischer Stadtrundgang. »Alle zwei Meter begegnet uns Globalisierung«, macht Ruben Neugebauer deutlich. Wem auffalle, wo, der solle sich melden. Vorab klärt er, was »Globalisierung« eigentlich bedeutet. Es handle sich dabei um »eine Verflechtung von Märkten weltweit«. Das weiß die 15-jährige Friedericke Odenwald bereits, wie ihre Freunde Merve Coban und Yannis Lever vom Albert-Einstein-Gymnasium will sie es aber genauer wissen.

Tomaten reisen durch Europa

Vor einem Handyladen hält die Gruppe an. Simon Krauß zeigt auf, wie die Bevölkerung im Kongo unter der Massenproduktion von Handys leide. »Der Kongo ist der größte Exporteur von Koltan, einem Rohstoff, der für die Elektroindustrie weltweit benötigt wird.« Er schlägt vor, sich seltener ein neues Handy zuzulegen, wenn das alte noch seinen Dienst erfülle. Am Marktplatz veranschaulicht Ruben Neugebauer anhand einer Bio-Tomate, dass die meisten Lebensmittel im Supermarkt eine weite Reise hinter sich haben. Das sehe er kritisch, wegen der Umweltbelastung durch den Transport.

Die Agrarsubventionen der EU verleiteten die europäischen Bauern zur Überproduktion, was wiederum die Märkte der Dritten Welt belaste. Denn dort landeten die Überschüsse mitunter. Obwohl Theresa Löffler und ihre kleine Schwester Zelia diese Gründe einleuchtend finden, sehen sie Probleme bei der Umsetzung. »Bei uns kaufen die Eltern ein, wir können schlecht überprüfen, wo die Tomate herkommt«, sagt die 19-Jährige. Beim Kauf von Kleidung achte sie aber darauf, woher die Textilien stammen. Auch an der Apotheke, vor dem Reisebüro, vor Bekleidungsgeschäften und zuletzt bei den Banken legt die Gruppe einen Stopp ein. Wieder am Marktplatz, lassen sich die kritisch denkenden jungen Menschen nieder, um über die Finanzkrise zu diskutieren.

»Besonders gut gefallen hat mir die entspannte Atmosphäre«, fasste die 19-jährige Viviana Klarmann vom Team abends ihre Eindrücke zusammen. In der Schule sei die Zurückhaltung größer, nicht jeder würde sich trauen, Fragen zu stellen, weil er Kommentare von den Mitschülern befürchte. Neben den Soulhossas spielten im »franz.K« die Gruppen »The Snatches« und »Herrenmagazin« aus Hamburg. Angelina Schüle und Kerstin Fischer, 25 und 31 Jahre, waren wegen »Herrenmagazin« gekommen. Dass ein Festival lief, wussten sie nicht. Dennoch entpuppten sich die beiden Konzertbesucherinnen aber als »globalisierungskritisch eingestellt«. (GEA)

Originalartikel erschienen am 09.03.2009 im Reutlinger Generalanzeiger