Kategorien
Musikwerkstatt Presse

Rockwärts vorwärts 10/3/06

Grüppchen & Gremien – In einer Rathaus-Band suchen Gemeinderatsmitglieder den Gleichklang. Erster Auftritt beim WM-Spektakel auf dem Bruderhausgelände geplant

VON ANDREA GLITZ

REUTLINGEN. Juli 2006: WM-Spektakel auf dem Bruderhausgelände. Auf der Bühne der Kulturwerkstatt rockt eine Band, deren Mitglieder sonst im Rathaus Politik machen. Ursula Menton singt mit rauchiger Stimme »Knockin‘ on heavens door« ins Mikro. Peter Rist spielt die Trompete und legt zwischendrin einen Schuhplattler aufs Parkett.

Klopfen an die Himmelstür im Probenraum der Kulturwerkstatt (von links): Rainer Löffler, Biggi Neugebauer, Cindy Holmberg, Kurt Gugel, Birgit Greineck, Hans Wucherer, Karsten Amann und Werner Schobel. FOTO: NIETHAMMER

Klopfen an die Himmelstür im Probenraum der Kulturwerkstatt (von links): Rainer Löffler, Biggi Neugebauer, Cindy Holmberg, Kurt Gugel, Birgit Greineck, Hans Wucherer, Karsten Amann und Werner Schobel. FOTO: NIETHAMMER

Diese Vision wird sich nicht ganz verwirklichen lassen. Ursula Menton hat bereits abgesagt (»Nicht meine Musik«). An Peter Rist ist Cindy Holmberg, Grünen-Fraktionsmitglied und Initiatorin der Gemeinderats-Rockband – Projektname »rockwärts« – nach eigenen Worten »noch dran«. Der Finanzbürgermeister ist zwar nicht Ratsmitglied, aber dennoch ein begehrter Kandidat, eben auch wegen des Schuhplattelns, das zweifelsohne die Performance der Rockband bereichern würde.

Neun Mitglieder aus allen Fraktionen des Reutlinger Gemeinderats – mit Ausnahme der FDP/BMR – haben sich zusammengefunden, um Musik zu machen. Ein erster öffentlicher Auftritt ist tatsächlich fürs WM-Event geplant. Die ersten Übungsstunden unter der kundigen Anleitung von Kulturwerkstatt-Mitarbeiterin Biggi Neugebauer sind schon gelaufen.

Szenenwechsel: Mittwochabend. Aus dem tiefen Keller der Kulturwerkstatt kriecht »Knockin‘ on heavens door« in einer nie gehörten Version. Es klingt, als ob die Musiker Valium genommen haben. Die Ursache für die Verzögerung: Die Bandmitglieder spielen erst zum zweiten Mal miteinander. Einige von ihnen haben mit dem Instrument, das sie in ihren Händen halten, zum ersten Mal Berührung.

Karsten Amann zupft ganz konzentriert den Bass. »Man könnte sicher mehr machen, aber ich beschränke mich auf drei Töne«, erklärt das CDU-Fraktionsmitglied, das musikalisch bislang nur über Klaviererfahrung verfügt. Dass sich in der Beschränkung der Meister zeigt, beweist auch Fraktionskollege Rainer Löffler: Am Piano ein blutiger Anfänger hämmert er ein überschaubares »Di Da Du Da Du Dada« in die Tasten.

»Ist das Musik oder Chaos?«

»Das ist großartig«, freut sich unterdessen Dr. Werner Schobel, ebenfalls ein Neuling am Bass, »keiner kann ein Instrument und alle spielen.« Wenngleich der WiR-Stadtrat sich nicht sicher ist, ob es sich beim Resultat der Bemühungen um »Musik oder um Chaos« handelt.

Sein Fraktionskollege Hans Wucherer haut unterdessen professionell aufs Schlagzeug ein. »Ich habe heimlich geübt«, grinst er und gesteht, eine Batterie daheim und sogar zwei Jahre Unterricht genossen zu haben. Dass er hier den Takt angibt, will er nicht aufs politische Leben übertragen: »Da möchte ich nicht im Gleichtakt mit allen spielen.« Planvoll Töne zu entlocken vermag auch Kurt Gugel (FWV) seiner E-Gitarre. Er hat früher Bass in der Schulband gespielt, danach »nur noch am Lagerfeuer nach dem dritten Bier« und freut sich sichtlich über die »tolle Idee von Cindy«.

Die Grüne macht zusammen mit der Sozialdemokratin Birgit Greineck das Gesangs-Duo. Die Auswahl der Frontfrauen war leicht. »Wir haben einfach die beiden Raucherinnen ans Mikro vorgeschickt«, flachst Karsten Amann.

Alle Anwesenden freuen sich sichtlich über die gelöste Atmosphäre. »Im Rat geht’s oft bierernst zu. Hier lacht man viel mehr«, sagt Gugel. Nein, eine Spaßfraktion wollen die Räte nicht aufmachen. Ernsthaftigkeit bleibt im Rathaus tonangebend. »Zum Spaßhaben gehen wir in den Keller«, sagt Holmberg, die das Musikmachen als Team-Trainingscamp für Lokalpolitiker sieht: »In Wirtschaftsunternehmen macht man zusammen Canyoning.«

Wird der gemeinsame Kellerspaß die Entscheidung beeinflussen, wenn das nächste Mal über den Etat für die Kulturwerkstatt abgestimmt wird: »Da haben wir schon drüber gewitzelt«, gibt Rainer Löffler zu und auch dass das rein emotional wohl so ist. »Aber man muss halt nach objektiven Kriterien beurteilen, auch wenn’s schwer fällt.« (GEA)

Grüppchen & Gremien

In loser Folge stellt der GEA Grüppchen und Gremien vor, in denen Lokalpolitiker abseits des großen Gemeinderats zusammenkommen. (igl)

Originalartikel erschienen am 10.03.2006 im Reutlinger Generalanzeiger.